Hyper Smash Kommunikation 21: Oktober 2012

Samstag, 27. Oktober 2012

Das mechanisierte Herz



Neben einer tragenden Säule im Erdgeschoß klaffte ein großes Loch im Betonboden. Jede Menge Kabel verschwanden ins darunter gelegene Verkaufsgeschoß. Nur die Telefonanlage fehlte noch. Ich wusste, dass der Auftrag erst letzte Woche unterschrieben worden war. „Indeed, a store of this size should have a telephone system. That would be a good idea“, sagte der Bauleiter. 




Virign Megastore Berlin 1991, Kudamm 15
die linken beiden Schaufenster waren der Eingang

Wir befinden uns im neuen Virgin Megastore in Berlin im Jahr 1991 und ich bin der Store Manager auf seinem ersten Rundgang durch den neuen Laden – dem ersten in Deutschland. Zwei Etagen, 1.500 m², Kudamm 15. Gary hat ein Mobiltelefon in Form eines Werkzeugkoffers dabei, das er mit beiden Händen schleppen muss. Der Hörer ist mit einem Spiralkabel mit dem Kasten verbunden. Ziemlich klobig, aber in der Tat mobil. Ich sage, er solle die Bodenöffnung noch offenlassen, da erst noch die Kabel für die Telefonanlage gezogen werden müssen. „Mein Sohn, morgen betoniere ich das Loch zu – ich habe schließlich einen Plan“. Ich bestehe darauf, dass erst die Kabel gezogen werden. Er entgegnet „Wenn Du mich aufhalten willst, musst Du durch den ganzen Prozess im Head Office in London laufen. Die Chance hast Du aber nur theoretisch, das wirst Du nicht schaffen“. Ich bin verblüfft – „und dann?“. „Wie gesagt, morgen betoniere ich und wenn Du ein Loch brauchst, dann musst Du einen Change Request stellen“. Ich war wieder verblüfft – „und dann?“. „Na, dann bohre ich Dir daneben ein neues Loch für Deine Telefonanlage“. So geschah es. Merke: wer ein Unternehmen lenkt, in dem ein mechanischer Prozess wichtiger ist als die Menschen, mechanisiert die Herzen und schaltet den gesunden Menschenverstand zuverlässig aus. 

Montag, 15. Oktober 2012

Bücher streamen bei B&N

Barnes & Noble ist der größte Buchhändler der USA. B&N betreibt 700 Buchläden und erzielt einen Umsatz von US$ 7 Mrd. Durch die Digitalisierung und den zunehmenden Marktanteil der e-Bücher steht B&N im Kerngeschäft mächtig unter Druck. Die Funktionen seines eigenen e-Buch-Lesers namens NOOK hat B&N jetzt um ein interessantes technisches Detail erweitert: innerhalb einer Filiale kann jeder NOOK einmal pro Tag eine Stunde lang alle Bücher im Sortiment lesen. Musik- und Video-Streaming kennen viele. Daß man auch Bücher streamen kann, ist einerseits logisch, andererseits aber auch innovativ, da es den Kunden einen guten Grund gibt, immer wieder die Barnes & Nobles Filialen auf einen Kaffee zu besuchen.

Quelle: David Carnoy/CNET
Dieser Post wurde am 12.2.12 veröffentlicht. Zur Buchmesse in Frankfurt setze ich den Post nochmal nach oben.

Sonntag, 14. Oktober 2012

Lieber Felgen oder Zukunft?



Nicht nur bei Büchern und Blogs explodiert durch den unendlich verfügbaren digitalen Raum das Angebot. Bei Zeitschriften und Magazinen hat Issuu die Nase vorn. Wer hätte gedacht, dass ein farbiges Magazin mit 124 Seiten über die Kanaren in Spanisch in kurzer Zeit 28.100.794 Seitenabrufe erzielt? Auch Platz drei der Issuu-Charts stimmt nachdenklich: Autoteilehändler ATU schafft mit einem Katalog über Felgenneuheiten 19.154.151 Seitenabrufe. Das ist eindrucksvoll und zeigt, wie groß der Hunger nach digitaler Information in einer vernünftigen Aufbereitungsform Online ist. Der Kern von Issuu ist ein Online-PDF-Reader, der endlich mal geschmeidig funktioniert und ein echtes Lesevergnügen für die Vielfalt der Magazine bietet, die häufig großformatig und gut fotografiert rüberkommen. 

In meinem Post als Beispiel hier eingebettet das Heft „Zukunft Deutschland“, das bislang nur 5.000 Klicks erzielen konnte. Felgen sind hierzulande halt wichtiger als Zukunft.







In der kurzen Zeitspanne seit Gründung als Startup im Jahr 2007 sind bereits 7,5 Millionen Magazine und allgemeine Publikationen zusammengekommen, die auf Issuu verfügbar sind. Nach eigenen Angaben wird Issuu von 52 Millionen Lesern im Monat besucht und es werden 210.000 neue Magazine hochgeladen. 3,4 Milliarden Seiten pro Monat werden gelesen, wobei nur 24% der Leser aus Nordamerika kommen und stolze 48% aus Europa. Neu und innovativ sind die vielen Statistiken, die für Hochlader verfügbar sind. Nach der Devise „Messen, Steuern, Regeln“ lassen sich damit für den ambitionierten Verlag Publikationen auf das Nutzerverhalten maßschneidern.

Wirtschaftlich fährt Issuu ein Fremium-Modell und wird von Sunstone Capital finanziert. Magazine angucken ist kostenlos, der Pro-Reader ohne Verweise auf andere Magazine oder Anzeigen kostet USD 19 im Monat. Ein stolzer Preis - dafür gibt es aber eine wirklich umwerfende Auswahl. Für die Profis bietet Issuu auch noch gleich eine ganze Menge an dokumentierten APIs, damit man sich die Kernfunktionen von Issuu prozessual direkt in seine eigene Webseite einbinden kann.

Samstag, 13. Oktober 2012

Das feine Gift aus Bits und Bytes



„Das feine Gift aus Bits und Bytes“ zirkuliere im Wirtschaftskreislauf des Buches. So sieht es jedenfalls Jesko Schulze-Reimpell vom Donaukurier in der Ausgabe vom 10. Oktober 2012. Der Buchmarkt stehe sicher vor einem gewaltigen Wandel, aber Sorgen machen solle man sich mal nicht machen, denn „Papier ist schöner“ und das Papierbuch wird Bestand haben, da es am Ende doch mehr Spaß macht Literatur auf Papier anstatt als Text auf einem Display zu lesen. Wie es sich für eine so innovative Zeitung gehört, gibt es den Artikel natürlich nicht online, sonst hätte ich gerne den Link zu diesem spannenden Leitartikel auf Seite 2 eingefügt.

Sprung nach Spanien: „El Pais“, die auflagenstärkste Tageszeitung dort, ist wegen Wirtschaftskrise und wegen der digitalen Revolution mächtig unter Druck. Der Chef der Verlagsgruppe, Juan Luis Cebrian, selbst 68 Jahre jung, kündigte die Streichung von einem Drittel der 464 Stellen im Redaktionsbereich an und sagt "Wer kein Twitter-Konto hat, hat hier nichts mehr verloren. Diejenigen über 50 haben nicht das berufliche Profil für das von uns angestrebte Zeitungsmodell". Starker Tobak für die Belegschaft und die „Welt“ bietet auch einen Link zur Story.



Zurück zu den e-Büchern, die laut Donaukurier keiner liest, keiner mag und keiner braucht. Erst mal ein bischen Recherche – wie gut, dass so viele Blogs gibt. Die erste Fundstelle in Blogs heißt „Open Parachute“ und dort hat Ken Perrot aus Neuseeland die Entwicklung der Marktanteile von 2002 bis 2010 in den USA zusammengetragen. Man sieht deutlich die Hockeykurve ab 2010, in  denen die neuen Lesegeräte von Nook bis Kindle den Markt förmlich haben explodieren lassen. Für 2012 finde ich die Marktanteile in der Digital Book World – 25% in Nordamerika aktuell. Bei der Fortschreibung habe ich mich für eine polynomische Trendlinie entschieden. Bei dieser Betrachtung kämen 80% in den USA bereits im Jahr 2015 zusammen. Heute denken ja noch viele, dass die Nachfrage nach besonderen Buchformaten mit Fotos die Wachstumskurve für die e-Bücher bald wieder abflachen lassen wird – wir werden es sehen. Die großen internationalen Märkte entwickeln sich in sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit. Wieder sind Brasilien und Indien vorne dabei, während das früher technologisch führende Land Japan in diesem Trend selbst Deutschland hinterherhinkt. Mit einem Marktanteil von aktuell 2-3% befindet sich Deutschland derzeit im Jahr 2009 der US-Kurve oben.